Das Problem
Lara besucht die zweite Klasse der Grundschule. Ihr Schulstart war gelungen, sie ist eine gute Schülerin und bei den Mitschüler*innen beliebt. Auch mit ihrer Klassenlehrerin kommt sie gut zurecht.
Nach den Herbstferien kommt Lara nicht wieder zurück. Die Eltern entschuldigen sie, sie habe eine Magen Darm Grippe, dann eine Erkältung, insgesamt ist sie nun seit 3 Wochen nicht mehr in der Schule gewesen.
Die Klassenlehrerin Frau Bauer führt ein gutes Gespräch mit den Eltern. Die Eltern berichten von einer unklaren Symptomatik, Lara klage über Bauchschmerzen und Durchfall, ein Termin beim Kinderarzt habe keine Erkenntnisse erbracht. Es steht ein Termin bei einem Spezialisten aus, um eine Nahrungsmittelunverträglichkeit abzuklären.
Nachfragen von Frau Bauer nach anderen Veränderungen im Umfeld bringen die Erkenntnis, dass Laras Mutter im Moment mit Burnout krankgeschrieben ist, nachdem Laras Opa letztes Jahr verstorben ist und die Mutter noch sehr mit der Trauer beschäftigt ist. Sie sei schon in Therapie. Lara sei sehr sensibel und gleichzeitig tritt sie der Mutter gegenüber sehr fordernd auf und gönnt ihr kaum eine Pause. Sie erwartet, dass die Mutter sich den ganzen Tag mit ihr beschäftigt, sonst drohen Ausbrüche. Das belaste die Mutter sehr und der Vater deutet an, dass er seine Frau für zu inkonsequent hält, Differenzen zwischen den Eltern kommen zutage. Laras Mutter gibt zu, schwankend in ihrer Haltung zu sein. Lara wolle nicht mal mehr bei den Großeltern übernachten, so dass die Eltern keine Pause haben.
Alle führen sich ratlos und hilflos.
Erster Schritt: Gemeinsames koordiniertes Vorgehen
Frau Bauer bittet zu einem baldigen gemeinsamen Gespräch und diesmal nimmt die Schulsozialarbeiterin und die Schulpsychologin teil.
In dieser Runde sucht man zunächst nach einem gemeinsamen Verständnis des Schulabsentismus. Es wird deutlich, dass die somatischen Beschwerden am Nachmittag und am Wochenende kein Thema sind, so dass davon auszugehen ist, dass sie begleitend zum Schulabsentismus auftreten.
Die Schulpsychologin erläutert die Mechanismen von Angst und wie Vermeidung gelernt wird. Es gibt sicher gute Gründe für Lara, vermutlich möchte sie sich der Mutter versichern, aber immer in der Nähe zur Mutter zu bleiben ist eine Lösung mit einem hohen Preis (Angst wird nicht gelöst, Lara kann nicht zur Schule gehen, die Familie ist schwer belastet). Die Lösung ist eine Konfrontation mit der Angst, damit Lara lernt, dass sie die Trennungssituation aushalten und überstehen kann. So macht Lara eine andere wichtige Lernerfahrung.
Das gemeinsame Verständnis der Angstmechanismen sorgt dafür, dass alle Beteiligten nun entschlossen sind, Lara wieder in die Schule zu bringen. Sie treffen gemeinsame Absprachen, bei denen jeder Part eine Aufgabe übernimmt.
Aufgaben für Laras Eltern
o Ggf. Urlaub nehmen oder späteren Arbeitsbeginn abklären.
o Lara den Entschluss am Vortag mitteilen. Um eine Eskalation zu vermeiden, stellen die Eltern den Schulbesuch als objektive Notwendigkeit dar, die Ihnen keinen Handlungsspielraum lässt. Weil sie um das Problem wissen, fragen sie Lara nicht, ob sie Lust auf Schule hat oder ob sie morgen hingeht. Sie sagen stattdessen:
„Lara, du weißt, wir haben jetzt verschiedene Dinge probiert, aber du hast es noch nicht in die Schule geschafft. Wir haben Rat eingeholt und wissen jetzt, dass du am besten lernst deine Angst zu überwinden, wenn du wieder zur Schule gehst. Wir wissen, dass das nicht leicht für dich ist, aber du wirst es schaffen, wir und deine Lehrer*innen unterstützen dich dabei! Es geht dir erst nicht gut dabei, aber es wird dir immer besser gehen. Zudem müssen wir so handeln, weil die Schulpflicht uns keine andere Wahl lässt. Wir haben deshalb entschieden, dass du ab morgen wieder zur Schule gehst. Wir werden dich zur Schule bringen.“
Es bleibt bei dieser Botschaft, ohne Fragen oder Diskussionen.
o Der entschlossenere Elternteil, der von den Ängsten des Kindes weniger beeindruckt ist, sollte am Anfang die Hauptrolle übernehmen. Das ist in diesem Fall Laras Vater. Er übernimmt die Hauptverantwortung am ersten Morgen, weckt Lara und bringt sie in die Schule.
o Wenn Laras Mutter alleinerziehend wäre, oder wenn beide Elternteile unsicher sind, sollte für die ersten Tage ein*e Unterstützer*in mobilisiert werden, der / die morgens anwesend ist.
o Am Tag der Rückführung wird Lara rechtzeitig, aber nicht zu früh geweckt. Sie bekommt ein leichtes Frühstück angeboten, man zwingt sie aber nicht zu essen.
o Laras Vater begleitet sie zum Schultor. Dort wird Lara schon von der Schulsozialarbeiterin erwartet. Das macht Sinn, da sie die Schulsozialarbeiterin schon kennt und mag. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte die Klassenlehrerin sie in Empfang genommen.
Um lange Wartezeiten zu vermeiden, kommen Lara und ihr Vater zwei Minuten vor Unterrichtsbeginn an. So ist auch keine Zeit für lange Abschiedsszenen.
o Laras Vater verabschiedet sich schnell, dreht sich um und geht entschlossen weg. Er lässt sich nicht irritieren, weil Lara weint und sich an ihn festhalten möchte. Er lässt sich auch nicht in eine Diskussion oder Beruhigung einbinden. Seine Aufgabe ist es, sich zügig zu verabschieden. Er vertraut darauf, dass Lara sich mit Unterstützung der Schulsozialarbeiterin und der Lehrkräfte wieder beruhigen und den Schultag schaffen kann.
o Heute ist es gut gegangen. Doch Laras Vater und auch die Mutter wissen, dass es immer wieder zu Schwierigkeiten kommen kann, gerade in der Anfangszeit.
Aufgaben der Klassenlehrkraft- Information der Fachkolleg*innen
Frau Bauer schreibt eine E-Mail, um sicher zu gehen, dass alle Informationen bei den Kolleg*innen ankommen.
„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Lara ist seit einiger Zeit der Schule ferngeblieben. Gemeinsam mit den Eltern habe ich die Rückführung geplant, die am _______ beginnen soll. Dafür brauche ich eure Unterstützung. Wir wissen nun, dass Lara im Laufe der Zeit Angst vor dem Schulbesuch aufgebaut hat und durch ihr Fernbleiben verinnerlicht hat, dass diese Angst für sie nicht aushaltbar ist. Die Rückführung soll ihr nun ermöglichen zu lernen, dass die Angst nicht nur aushaltbar ist, sondern von Minute zu Minute, die sie im Klassenraum verbringt, abnimmt. Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass sie nicht vorzeitig abgeholt oder nach Hause geschickt wird, auch nicht, wenn sie über körperliche Beschwerden klagt. Dafür bitte ich euch, dass ihr euch im Unterricht völlig normal verhaltet. Ferner bitte ich euch am Tag der Rückführung keine Klassenarbeiten zu schreiben und Lara nur dranzunehmen, wenn sie sich meldet. Oberstes Ziel ist jetzt, dass sie in der Schule bleibt. Lerninhalte sind vorerst nicht von Belang. Es kann sein, dass sie weint oder klagt. Versucht, dem nicht allzu viel Beachtung zu schenken. Macht ihr aber Mut und zeigt auf, wieviel Zeit sie schon geschafft hat. Sollte es zu Komplikationen kommen, oder ihr unsicher bzgl. des Vorgehens sein, bin ich und die Schulsozialarbeiterin ansprechbar
Aufgaben der Klassenlehrkraft- Information der Klasse
Eine weitere Aufgabe von Frau Bauer ist die Information der Mitschüler*innen. Dabei ist es ihr wichtig, dass Lara möglichst wenig im Fokus steht und so unaufgeregt wie möglich wieder ankommen kann.
Sie richtet einen Tag vor Laras Ankunft folgende Ansprache an ihre Klasse:
„Lara möchte wieder zur Schule gehen und morgen kommt sie wieder zurück. Es fällt ihr schwer, aber wir können es ihr leichter machen. Verhaltet euch normal, bestürmt sie nicht mit Fragen und macht alles wie gewohnt. Ich kümmere mich um Lara, egal was kommt. Eure Aufgabe ist das Lernen, alles andere übernehme ich.“
Bei Bedarf erinnert sie die Klasse nochmal daran.
